Streikrecht ist ein Grundrecht: Solidarität mit den Entlassenen bei Gorillas!

Am 25. April 2023 fand eine Kundgebung vor dem Landesarbeitsgericht in Solidarität mit ehemaligen Mitarbeiter*innen des Lieferdienstes Gorillas statt, die entlassen worden waren, weil sie wegen der miesen Arbeitsbedingungen gestreikt hatten. Für DIE LINKE. Neukölln überbrachte Bezirksvorstandsmitglied Hermann Nehls eine Solidaritätsadresse:

Die LINKE.Neukölln erklärt ihre Solidarität mit den Entlassenen bei Gorillas. Für uns ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir diejenigen, die sich gegen miserable Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen, unterstützen. Der Streik vom Oktober 2021 machte öffentlich, wie es um die Arbeitsbedingungen bei Gorillas steht: Löhne werden nicht gezahlt und Schutzausrüstungen fehlen. Dass darauf Kündigungen folgten, ist schändlich. Der damalige CEO erklärte vollmundig, dass ‚niemand gefeuert werde, nur weil er oder sie streiken‘. Was von solchen Erklärungen zu halten ist, sehen wir wieder heute. Die wegen ihrer Teilnahme am Streik Entlassenen gehen heute in die zweite Instanz beim Arbeitsgericht, um die Kündigung anzufechten.

Ja, die Kündigung ist schändlich, aber nicht überraschend. Einmal mehr zeigt sich, wie restriktiv die arbeitsrechtliche Bewertung dieses ‚verbandslosen‘ Streiks gehandhabt wird – Streiks sollen nur dann zulässig sein, wenn sie von Gewerkschaften geführt werden. Mit der Lebens- und Arbeitssituation von nur befristet Beschäftigten hat das nichts zu tun. Bei kurzen Arbeitsverhältnissen ist es doch faktisch unmöglich, sich gewerkschaftlich zu organisieren und sich gegen Willkürmaßnahmen von Plattform Unternehmen zur Wehr zu setzen. Diese restriktive Auslegung des Streikrechts hat einen Namen: Hans Carl Nipperdey, war in der Zeit von 1954 bis 1963 der erste Präsident des Bundesarbeitsgerichts in Kassel und prägte entscheidend die Rechtsprechung. Nipperdey war zu Zeiten des Nationalsozialismus Jurist und kommentierte das Arbeitsrecht der Nazis. Die heute gängige restriktive Auslegung des Streikrechts trägt seine Handschrift.

In den letzten Wochen haben wir fasziniert auf die Streikbewegung in Frankreich geschaut, wo Millionen auf die Straße gingen, um sich gegen den Rentenklau und die Neoliberalisierung der Arbeitsbeziehungen zu wehren. Das war vergleichbar mit Mai 1968. Doch auch in Deutschland ist die Liste politscher Streiks lang.  In Deutschland fanden die großen politischen Streiks während und nach dem Ersten Weltkrieg statt. Die zahlreichen Streiks in der Metallindustrie im Januar 1918 waren gegen den Krieg gerichtet und bildeten einen wichtigen Auftakt für die Novemberrevolution. 1920 fand der größte Generalstreik in der Geschichte Deutschlands statt und vereitelte den Versuch, die Weimarer Republik schon wenige Monate nach seiner Gründung zu zerschlagen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg kam es in Deutschland wieder zu vergleichbaren Streiks. Im November 1948 streikten in der britischen und US-amerikanischen Zone neun Millionen Arbeiter:innen für eine Demokratisierung der Wirtschaft. Erst seit den Streiks der Zeitungsbetriebe 1952, bei denen Beschäftigte für mehr Rechte im Betriebsverfassungsgesetz kämpften, gilt in Deutschland die bis heute gängige restriktive Auslegung des Streikrechts. Nipperdey lässt grüßen.

Wie das Streikrecht ausgelegt wird, ist nicht nur eine Frage der rechtlichen Bewertung. Es ist vor allem eine Frage der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. Respekt und Anerkennung im Betrieb erreichen wir nur, wenn wir widerständig sind. Und hier noch einmal ein Zitat von einem Gorillas CEO, der die Philosophie des Unternehmens beschrieb: ‚Wir haben eine Bewegung geschaffen, nicht nur ein Unternehmen‘. Nehmen wir ihn beim Wort und entwickeln seine Philosophie weiter: Die Entlassenen bei Gorillas haben eine Bewegung gefördert, die in Deutschland das Thema Demonstrationsstreik wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat. Dafür sind wir ihnen dankbar und unterstützen sie aus ganzem Herzen!