Ehrenamtliche kompensieren Staatsversagen

Philipp O.

Schätzungen zufolge sind bis Mite April bereits über 50.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Berlin angekommen. Weil sich der Staat mit der Versorgung überfordert zeigt, helfen Ehrenamtliche den Ankommenden. Ein Besuch am Berliner Hauptbahnhof.

Es gibt noch was, das wollte ich nicht sagen, solange die Aufnahme an war«, sagt die Helferin in der blauen Weste. Die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine sind längst in Deutschland angekommen. Es gibt viele unterschiedliche Meinungen zu Sanktionen, Waffenlieferungen oder zur NATO. Doch die Hilfsbereitschaft für die Menschen, die vor Gewalt und Zerstörung fliehen, ist groß. Zum Beispiel hier am Hauptbahnhof, wo ehrenamtliche Helfer:innen ukrainische Geflüchtete empfangen und beim Erstkontakt mit der deutschen Bürokratie unterstützen.

Das Wetter ist so grau wie meine Stimmung, als ich aus der S-Bahn steige. Hinter dem Hauptbahnhof angekommen öffnet mir ein Security-Mitarbeiter die Tür zu einem Zelt, in dem Geflüchtete versorgt werden. Plötzlich schwingt die Stimmung um: Es ist hell und freundlich, man sieht Lächeln in den Augen über den Masken, Clowns spielen mit Kindern. Auf Sitzbänken warten Familien. Es gibt ein reichhaltiges Angebot an Informationen, Tee, Beratung.

Clemens trägt eine grüne Weste der Stadtmission, ist ungefähr 60 Jahre alt und steht mit seiner Frau am Rand. Er ist Arzt, aber weil man ihn gerade nicht braucht, beantwortet er mir gerne ein paar Fragen. Er freut sich, helfen zu können. Die Stimmung im Team sei sehr gut. Eines störte ihn aber: Manchmal kämen verzweifelte Wohnraumbesitzer vorbei, die nicht wissen, wie sie Ukrainer:innen erreichen können, um ihnen Unterkünfte anzubieten. Die Website funktioniere nicht. Typisch Berlin.

Helfende werden alleinegelassen

Ich spreche eine Helferin in einer blauen Weste an. Das sind die alten Häs:innen. Ja, es gäbe Probleme: Psychologische Betreuung werde gebraucht. Auf ukrainisch und russisch. Zurzeit leisten das Leute wie sie und Clemens. Und die Betreuenden bräuchten selbst Betreuung. Ich frage lieber nicht nach den Geschichten, die sogar die Helfenden so stark belasten.

Ein zentrales Problem bestehe in den unklaren Perspektiven für die Geflüchteten. Fast alle werden ins »Ankunftszentrum« im ehemaligen Flughafengebäude Tegel geschickt. Aber was passiert dann? Der Satz, den die Freiwilligen am häufigsten sagen müssen: »Ich weiß es nicht.« Das sei frustrierend.

Rassismus gegen Roma

Als das Aufnahmegerät aus ist, zeigt die Helferin mit der blauen Weste auf eine Familie. Ungefähr zehn Menschen sitzen auf Bierbänken an Tischen. Um sie herum toben Kinder. »Die sind schon seit fünf Tagen da.« Ich bin erstaunt über die gute Stimmung. Doch auch ein Platz in diesem Zelt ist besser als Krieg oder Tod. Dann wird sie ernst: »Wir haben Probleme, den Roma zu helfen.« Es gehe um Familien mit zehn, zwölf Personen, manchmal 30. »Wir können sie nirgends unterbringen, nirgendwohin weiterleiten. Das System ist dafür nicht gemacht.« Die Ämter ließen sie hier alleine. Die Roma erfahren dort Rassismus, sagt sie. »Die Zuständigen blocken bei denen ab. Wir haben Glück, dass uns ein kleiner Verein hilft.« Die vielen jungen Helfer:innen vom Mingu Jipen e.V. sind von einer Traube Menschen umringt. Einige sehen aus, als hätten sie in den letzten Tagen sehr wenig geschlafen.

So beeindruckend die große Hilfsbereitschaft hier ist: Wäre das nicht eigentlich Aufgabe des Staates? Wie soll nachhaltige Integration mit so wenig Einsatz gelingen? Oder gibt man sich erneut der Illusion hin, dass die Geflüchteten irgendwann wieder zurückgehen? Wenn die Politik jetzt nicht Geld in die Hand nimmt, droht den Geflüchteten eine Fortsetzung ihres Martyriums für lange Zeit.  

Philipp O.

DIE LINKE. Neukölln fordert:

Wir verteidigen das Recht auf Asyl universell. Dieses Recht sollte auch für Deserteure der russischen und der ukrainischen Armee gelten. Niemand darf zum Krieg gezwungen werden. Unsere Solidarität gilt allen Menschen auf der Flucht! Wir fordern eine diskriminierungsfreie Aufnahme aller Kriegsgeflüchteten in Deutschland unabhängig von Kriegsgebiet, Nationalität und Hautfarbe.