Beschluss der Mitgliedervollversammlung der Linken Neukölln zur Wahlauswertung
Die Mitgliedervollversammlung hat am 24. März 2025 über den Wahlkampf, das Ergebnis und die Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit der Linken Neukölln diskutiert und folgenden Beschluss gefasst:
Die Linke Neukölln: Vom Wahlerfolg zum Klassenkampf – für Menschen statt Profite, Aufrüstung und Krieg
Was für ein Wahlkampf, was für ein Erfolg!
Die Linke ist die stärkste politische Kraft in Neukölln und hat mit Ferat Koçak zum ersten Mal das Bundestagsdirektmandat für unseren Bezirk geholt. Das war nur möglich, weil wir einen Wahlkampf der Superlative geführt haben. Wir haben gezeigt: Wir können Teamwork und machen Politik anders – sozialistisch, kämpferisch, gemeinsam mit unseren Nachbar*innen. Wir hören den Menschen zu, aber wir sagen auch was ist: An Haustüren und auf der Straße, Im Bundestag mit klarer Kante gegen Rechts und in Neukölln konsequent für internationale Solidarität und gegen den Völkermord in Palästina.
Die Linke Neukölln bedankt sich herzlich bei allen Wahlkampfaktivist*innen, von denen einige mehrere hundert Kilometer anreisten. Wir gratulieren Ferat Koçak, der fortan Die Linke Neukölln und die Neuköllner*innen als Direktkandidat im Bundestag vertreten wird und wünschen ihm und seinem zukünftigen Team viel Erfolg.
Der Bezirk Neukölln hat in den letzten Wochen und Monaten einen enormen Mitgliederzuwachs erfahren. Wir haben jetzt über 2.000 Mitglieder und sind gefordert, unsere bestehenden Basisstrukturen auszubauen, neue Strukturen zu entwickeln und politische Praxis mit politischer Bildung und einer inklusiven, transparenten und wertschätzenden Mitmachkultur zu verbinden.
Das Wahlergebnis auf Bundesebene
Das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2025 reiht Deutschland in die große Gruppe der Länder Europas und auch in anderen Teilen der Welt ein, in denen rechts-nationalistische und weiter nach rechts geschwenkte konservative Parteien die Wahlen gewinnen: Knapp die Hälfte aller Wähler*innen gaben ihre Stimme an CDU/CSU oder AfD und somit für eine weitere politische Rechtsverschiebung und „Deutschland zuerst-Politik“.
Im Zentrum der Wahlauseinandersetzungen stand eine scharfe Ausgrenzungspolitik und rassistische Kampagne gegen Migrant*innen und Geflüchtete. Die dabei vorgeschlagenen Maßnahmen zur faktischen Abschaffung des Asylrechts, für verschärfte Abschiebepraxis mit Inhaftierungen von ganzen Familien und weitere Einschränkung von Sozialleistungen für Geflüchtete stellen eine reale Bedrohung für Leib und Leben von Zehntausenden von in Deutschland lebenden Menschen dar und sind eine neue Stufe der Ausgrenzungspolitik in der Gesellschaft. Das zweite große Wahlkampfthema waren die geplante massive Aufrüstung und Militarisierung der Politik im Schatten des Krieges in der Ukraine.
Größte Überraschung bei diesen Wahlen ist das Ergebnis der Partei Die Linke. Sie holt 4,4 Millionen Stimmen und 8,8 Prozent, was den Einzug in Fraktionsstärke und mit fast doppelt so vielen Abgeordneten wie in der letzten Periode in den neuen Bundestag bedeutet. Der ursprüngliche Plan, diesen Einzug vor allem mit dem Gewinn von drei Direktmandaten zu erreichen, wurde übererfüllt. Jetzt sind es sechs direkt gewonnene Wahlkreise. Neukölln ist der erste Wahlkreis, den Die Linke jemals in einem westlichen Bezirk gewonnen konnte!
Bei dieser Wahl stimmte alles: Bei dieser Wahl stimmte alles: Gute Kandidat*innen, Entschlossenheit in den Themen und nachvollziehbare Forderungen. Hinzu kommt: In Zeiten eines drastischen Rechtsrucks, zunehmender imperialistischer Spannungen und Militarisierung – während zugleich im Sozialen, in Bildung, Kultur und Gesundheit massiv gekürzt wird – konnte die Linke so als einzige glaubwürdige antifaschistische Opposition und konsequente internationalistische Friedenspartei den Menschen ein überzeugendes Angebot machen. Dies gilt es nun fortzusetzen!
Mit den Themen bezahlbare Mieten, steigende Preise und soziale Ungleichheit wurden lebensnahe Themen aufgegriffen und im Wahlkampf selbstbewusst gesetzt. Alle anderen gehen nach rechts, wir nicht! Insbesondere Heidi Reichinnek war eine charismatische, vor allem in den digitalen Formaten wirksame Kandidatin, wodurch der große Erfolg bei Jung- und Erstwähler*innen ermöglicht wurde. Wir konnten in der Altersgruppe 18 und 34 Jahren deutliche Zugewinne erzielen und wurde unter Erstwählenden mit 27 Prozent sogar stärkste Kraft. Hinzu kam eine beispiellose Mobilisierung der Mitglieder und von Aktivist*innen wie Studis gegen rechts, die der Linken zum Wahlerfolg verhelfen wollten. Nur mit Unterstützung aller konnte ein Haustürwahlkampf mit bundesweit 640.000 geklopften Türen und unzähligen Gesprächen organisiert werden.
Neukölln hat alles getoppt
Die Linke Neukölln hat mit diesem Wahlkampf Geschichte geschrieben. Über 2.000 Aktive – Mitglieder, Basisorganisationen, Sympathisant*innen, Studis gegen rechts, Klimaaktivist*innen, SDS, Aktivist*innen aus der außerparlamentarische Linken und Mieter*innenbewegung und nicht zuletzt das Team Ferat – haben über Wochen an fast 139.000 Haustüren geklopft, plakatiert, Infostände und Veranstaltungen gemacht und einfach alles gegeben. Das war Teamwork, getragen von einer breiten Bewegung. Wir haben erfolgreich einen kollektiven und kämpferischen Wahlkampf geführt.
Wir wollten mit unserer Direktkandidatur mit dazu beitragen, dass Die Linke wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einzieht und wir dazu ein Direktmandat in Neukölln gewinnen. Darüber hinaus wollten wir ein starkes Zweitstimmenergebnis erzielen. Wir haben es geschafft: Die Linke erhält im Bundestagswahlkreis Berlin-Neukölln mit 30,0 Prozent und einem Vorsprung von 10,3 Prozent die meisten Erststimmen. Die meisten Zweitstimmen gehen mit 25,3 Prozent ebenfalls an die Linke, damit haben wir unser Zweitstimmenergebnis mehr als verdoppelt im Vergleich zur letzten Bundestagswahl. Und, die Linke ist stärkste Partei in Berlin geworden.
Mit diesem Wahlkampf wollten wir auch ein starkes Signal zur Erneuerung der Partei senden, indem wir Die Linke als eine Partei aufbauen, die einen praktischen Gebrauchswert im Leben der Menschen hat, mit denen wir um Veränderung kämpfen wollen. Dazu gehören in Neukölln insbesondere die Themen stark steigende Mieten und Lebensmittelpreise, Verkehrspolitik und das Thema Müll. Viele Nachbar*innen beklagen, dass ihre Straßen im Dreck versinken, während der Ku‘damm glänzt. Auch für internationalistische Themen wollten wir unseren Gebrauchswert zeigen: An Infoständen haben wir bereits über 1000 Unterschriften für die von Medico International und anderen NGO initiierten Petition „Für einen gerechten Frieden in Gaza“ gesammelt – und wir werden weitermachen. Die Glaubwürdigkeit unserer Politik haben wir nicht zuletzt mit der Mandatsträger*innenvereinbarung und der klaren Deckelung von Mandatseinkünften unterstrichen.
Besonders gute Wahlergebnisse erzielten wir im Norden Neuköllns, im Wahllokal Sonnen-Grundschule 48 Prozent der Erststimmen und 38,8 Prozent der Zeitstimmen. Aber auch im Süden konnten wir teilweise starke Zugewinne erzielen. In einigen Kiezen hatten wir auch hier die Nase vorn. Beispielhaft seien hier die Ergebnisse der Wahllokale Grundschule am Fliederbusch (Erststimme 27,6 Prozent, Zweitstimme 23,3 Prozent) und Hermann von Helmholtz Schule (26,5 Prozent Erst-, 21,5 Prozent Zweitstimme) genannt. Hier konkurrierte die Linke besonders mit der AfD, die mit ihren Zweitstimmen in der Grundschule am Fliederbusch mit 25 Prozent knapp vor der Linken lag. Grundsätzlich können wir festhalten, dass wir in den Straßenzügen überwiegend erfolgreich waren, in denen wir die Haustürgespräche geführt haben und dass wir auch klar außerhalb eines großstädtisch ökosozialen Milieus Menschen für Die Linke gewinnen konnten.
Die Linke muss Wahlsieg und vor allem massiven Mitgliederaufwuchs konsolidieren
Die Mitgliedszahlen der Linken haben sich nahezu verdoppelt, mehrere Landesverbände erreichen ein Allzeithoch an Mitgliedern und selbst in den Ostbundesländern, die jahrelang nur Mitglieder verloren, gehen die Eintrittszahlen rasant nach oben. Aktuell haben wir bundesweit erstmals über 100.000 Mitglieder. Dieser Aufschwung als reale gesellschaftliche Kraft muss jetzt stabilisiert und ausgebaut werden. Dauerhafte Strukturen vor Ort sind aufzubauen, interventionsfähige Gruppen, die in den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen organisiert kollektiv arbeiten, sind jetzt wichtig. Dazu kommt eine große Anstrengung an innerparteilicher Bildung, um das jetzt ausgelöste neue linke Selbstbewusstsein politisch zu festigen und als nachhaltige Power einer wirklich sozialistischen und antikapitalistischen Partei zu erhalten.
In Neukölln wollten wir den Wahlkampf nutzen, um viele neue Mitglieder zu gewinnen und erstmals als Die Linke Neukölln über 1.000 Mitglieder haben. Die Zahl der Mitglieder liegt in Neukölln aktuell bei über 2.000. Das hätten wir uns nicht träumen lassen.
Zu den Wahlzielen gehörte auch, die Basisorganisationen zu stärken und gegebenenfalls neue zu gründen. Darüber hinaus wollten wir insbesondere Menschen mit Migrationsgeschichte ansprechen, die in der Linken bisher unterrepräsentiert sind. Und wir wollten den Wahlkampf nutzen, um uns in Süd-Neukölln stärker zu verankern. Dafür sollte eine langfristige Präsenz aufgebaut werden und wir wollten uns aktiv in die Konflikte und Auseinandersetzungen einbringen, die die Menschen im Süden Neuköllns bewegen.
Für eine kämpferische und widerständige Erneuerung der Linken
Der Bezirksverband sieht weiterhin eine Aufgabe darin, in der Partei für eine konsequent sozialistische, klassenpolitische, antimilitaristische Haltung zu streiten – insbesondere was die Ablehnung aller Waffenlieferungen und Aufrüstung sowie die Positionierung zu den Kriegen in Gaza und der Ukraine angeht. Dazu gehört auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Regierungsbeteiligungen der Partei in Vergangenheit und Gegenwart, die einen großen Anteil daran haben, dass die Partei lange Zeit von vielen nicht mehr als politische Alternative wahrgenommen wurde und das zum Teil auch noch wird.
Wir protestieren aufs Schärfste dagegen, dass die Regierungen in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, an denen die Linke beteiligt ist, dem Aufrüstungspaket im Bundesrat zugestimmt haben und fordern, dass sich der Parteivorstand davon eindeutig distanziert.
Wir wollen unsere Mitgliedschaft durch Bildungs- und Diskussionsangebote in die Lage versetzen, sich in die innerparteilichen Debatten einzubringen und zu den in der Partei auch strittig diskutierten Fragen eine Haltung einzunehmen
Schlussfolgerungen für den Bezirksverband Neukölln / Herausforderungen
Partei Aufbau:
- Neue Mitglieder und aktiv gewordene Mitglieder nachhaltig einbinden und ausbilden. Dazu gehören: politische Bildungs- und Diskussionsformate, eine Aktivenkonferenz sowie Kennenlern- und Neumitgliedertreffen.
- Bestehende Basisstrukturen und Arbeitsgemeinschaften ausbauen, stärken und wiederbeleben sowie neue entwickeln.
- Eine Mitgliederumfrage via Zetkin wird durchgeführt, um Interessen und Bedarfe zu ermitteln und in die Umsetzung einzubeziehen.
- Unterstützung und Entlastung unserer ehrenamtlichen Mitgliederbeauftragten und BO-Sprecher*innen bei der Integration neuer Mitglieder durch Vernetzungsangebote und die Implementierung von Zetkin (Datentool zur Mitgliederverwaltung und Kontaktarbeit).
- Diversifizierung der Mitgliedschaft – Engagement von Menschen mit Migrationsgeschichte in unserem Bezirksverband fördern.
- Verankerung in betrieblichen / gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen.
- Attraktivität der Linken in Neukölln auch im Bereich von Kindern und Jugendlichen verstetigen.
- Die starke Mobilisierung im Süden Neuköllns fortsetzen und ausbauen. Dazu gehören: Aufbau/Weiterentwicklung der BO Gropius, Mitarbeit/Aufbau von Netzwerken gegen Rechts.
- Der wachsenden Bedeutung des Bezirks Neukölln auch in der Linken Berlin gerecht werden: Präsenz in Berliner Gremien der Linken sichern und begleiten.
Politik anders machen:
- Anders als alle anderen Parteien steht Die Linke Neukölln für eine sozialistische Ausrichtung und begreift sich als Motor von Klassenkämpfen. Wir stehen für Selbstermächtigung statt für Stellvertretertum und setzen auf verbindende Kämpfe von unten.
- Ob Feminismus, Antifaschismus, Kürzungspolitik und Kriegstreiberei oder die Kriminalisierung der Palästina-Solidarität: Als laute Stimme des Protests stehen wir konsequent an der Seite der Bewegungen für soziale Gerechtigkeit, Frieden und internationale Solidarität. und kämpfen gemeinsam gegen Ausbeutung und jede Form der Unterdrückung.
- Wir stellen uns entschieden gegen staatliche Repressionen sowie die Kriminalisierung, Diffamierung und Unterdrückung der Palästina-Solidaritätsbewegung. Wir lassen uns weder einschüchtern noch spalten – als Sozialist*innen kämpfen wir gemeinsam gegen Ausbeutung und jede Form der Unterdrückung.
- Thematische Fokussierung auf Alltagsprobleme der Neuköllner*innen. Dazu gehören u.a. Heizkostenaktion, Sozialsprechstunde, Haustürgespräche.
- Mitglieder im Abgeordnetenhaus und in BVV sind in Neukölln präsent, machen transparente Arbeit und laden zur Mitarbeit / Gestaltung ein.
- Organisierung einer solidarischen Nachbarschaft. Dazu gehören u.a. regelmäßige öffentliche Veranstaltungen.
- Gemeinsame Initiativen von Bezirksvorstand und BVV Fraktion: Einladung und Vernetzung von Initiativen und sozialen Trägern.
Themen besetzen / Wiedererkennungswert
- Themen aus Haustürwahlkampf: Wohnen, Preissteigerung, Verkehr, Müll. Explodierende Mieten sind ein drängendes Thema in Neukölln. Menschen in Neukölln werden verdrängt, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Sparen beginnt für viele Menschen inzwischen beim Essen. Oft reicht es nicht mehr für das Nötigste. Besonders betroffen sind Menschen mit niedrigem Einkommen und Familien mit Kindern. Auch sie brauchen einen bezahlbaren ÖPNV. Das Thema Müllbeseitigung wurde in vielen Haustürgesprächen als drängendes Problem genannt.
- Kampf gegen die Klimakrise: Gegen die Bebauung und Privatisierung des Tempelhofer Felds. Grünflächen dürfen nicht den Profiten weniger geopfert werden.
- Krieg und Frieden: Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht in Sicht und Israel führt einen völkermörderischer Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland. Beide Kriege eskalieren bedrohlich, sind begleitet von einer Welle der Aufrüstung und der inneren Militarisierung der Gesellschaft.
- Antifaschismus und Antirassismus, gegen jede Form von Diskriminierung. Nazis haben keinen Platz in Neukölln.
- Kaputtsparen ist Gewalt: Unsoziale Politik des Schwarz- Roten Senats trifft viele Menschen hart, gerade in Neukölln – Öffentliche Daseinsvorsorge sichern.
Die großen politischen Fragen – Kampf gegen Krieg und Militarisierung, für soziale Gerechtigkeit und höhere Löhne und Renten, gegen die Klimakatastrophe und die Zerstörung der Natur – benötigen eine schlagkräftige und lautstarke Opposition gegen die Parteien des Kapitals. Lasst uns als Linke Neukölln Teil davon sein und die gesellschaftliche Mobilisierung gegen rechts vorantreiben. Der Linken ist eine neue Chance eröffnet worden, einen nächsten Schritt im Aufbau einer breit gesellschaftlich verankerten, systemoppositionellen sozialistischen Partei zu gehen. Nutzen wir diese Chance!